Die Ma­gie von Weih­nach­ten

Inwiefern ist Weihnachten auch ein Stück Pop-Kultur? Was sind die menschlichen Sehnsüchte, die sich in den Br?uchen und Ritualen ausdrücken, und was die best?ndigen christlichen Botschaften? Wir haben mit ?Weihnachts-Experten“ gesprochen: Marion Keuchen, Martin Leutzsch, Jochen Schmidt und Harald Schroeter-Wittke sind Professoren für evangelische Theologie an der Uni Paderborn und erkl?ren die Magie von Weihnachten aus ihrer Sicht.

Weihnachten ist nur noch Konsum und Kommerz – was entgegnen 365足彩投注_365体育投注@ solcher Kritik?

Jochen Schmidt: Von diesem ?Weihnachtsbashing“ halte ich eigentlich nichts. Die Idee, man müsste erst den Konsum aus dem Weg r?umen, um dann zum Kern von Weihnachten zu kommen, finde ich komisch und auch sehr feindselig gegenüber den Dingen, die uns offensichtlich einfach Freude machen. Sich gegenseitig und auch sich selbst beschenken, sich an den Dingen in der Welt und an anderen Menschen erfreuen, ist in meinen Augen keine Konkurrenz zur Weihnachtsbotschaft, die für mich darin besteht, dass das Leben eine Gabe ist, die zerbrechlich ist, aber doch wohl behütet.

Harald Schroeter-Wittke: Historisch kommt das Beschenken von Martin Luther: Zu seiner Zeit gab es Geschenke nur am Nikolaustag, wie übrigens heute noch in den Niederlanden. Luther kritisierte den Heiligenkult und wollte Jesus in den Fokus rücken. Seitdem gibt es die Geschenke hier vor allem am Weihnachtsfest.

Vom Weihnachtsmann oder vom Christkind – was ist denn nun richtig?

Harald Schroeter-Wittke: Richtig oder Falsch gibt es da nicht. Hierzulande hat sich irgendwann das Christkind durchgesetzt – und von diesem gibt es wiederum unterschiedliche Vorstellungen. Weihnachten ist eben auch Pop-Kultur: Die Br?uche und Rituale entstehen im Kontext ihrer Zeit und sind wie alle anderen Alltagspraktiken kulturell gepr?gt. Fast alle Weihnachtsbr?uche, die wir heute kennen, sind übrigens im 19. Jahrhundert entstanden – also noch gar nicht so alt, obwohl wir oft denken, dass es sie schon immer gibt.

Marion Keuchen: Ja, es ist erstaunlich, dass die meisten Menschen so wenig über die Entstehung dieser Traditionen wissen, z. B. woher der Adventskranz kommt: Johann Hinrich Wichern war Leiter eines Waisenhauses in Hamburg und hat ihn für die Kinder erfunden, die es nicht abwarten konnten, bis endlich Weihnachten war. Er hat ein Wagenrad mit 24 Kerzen bestückt, davon vier gro?e Kerzen für die Adventssonntage.

Warum sind so viele Br?uche gerade im 19. Jahrhundert popul?r geworden?

Harald Schroeter-Wittke: Im 19. Jahrhundert gab es eine gro?e Wende: Da wird Weihnachten in der Gesellschaft zum h?chsten christlichen Fest, nicht mehr Ostern. Statt der Kreuzigung und Auferstehung wird jetzt die Feier der Geburt in den Mittelpunkt gerückt. Gleichzeitig wird Weihnachten nach Hause geholt, in den Kreis der Familie, die eine immer wichtigere Rolle bekommt.

Marion Keuchen: Man feiert das Wunder der Geburt und das Leben. Das gilt übrigens für die evangelische und die katholische Konfession. Weihnachten ist ein ?kumenisches Fest: In beiden Kirchen wird beispielsweise auch das gleiche Liedgut gesungen.

Apropos Kirche: An Weihnachten sind die Kirchen voll im Unterschied zum Rest des Jahres – woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Marion Keuchen: Ja, in der Tat gehen an Heiligabend 40 Prozent der Kirchenmitglieder in den Gottesdienst, w?hrend es sonst nur drei bis fünf Prozent sind. Ich denke, der Gottesdienst geh?rt für viele einfach zum Fest dazu – so wie die wei?e Hochzeit. Das hat etwas Konservatives, Bewahrendes – so wie die vielen anderen Traditionen, die es angeblich schon immer gibt.

Ist das vielleicht eine menschliche Sehnsucht – nach Best?ndigkeit in einer unbest?ndigen Welt?

Harald Schroeter-Wittke: Ja, mit Sicherheit. Die Sehnsucht nach etwas Andauerndem und Ewigen – und danach, mit der ganzen Welt und Menschheit verbunden zu sein. ?berall feiern Christen die Geburt Jesu auf ?hnliche Weise, unterbrechen den Alltag, feiern in der Gemeinschaft. Das ist die Magie von Weihnachten.

Wenn Traditionen und Br?uche sich aber im Lauf der Geschichte eigentlich immer wieder ?ndern – was ist dann aus Ihrer Sicht die Botschaft, die tats?chlich immer bleibt?

Jochen Schmidt: Dass das Leben trotz aller Gefahren, aller ?ngste und aller Erfahrungen des Scheiterns ein Grund zum Feiern und zur Freude ist.

Marion Keuchen: Für mich ist die Weihnachtsbotschaft der Satz aus der bekanntesten Weihnachtsgeschichte nach dem Lukasevangelium: ?Fürchtet Euch nicht!“. Die Angst ist, was uns Menschen zu Menschen macht, aber es gibt noch etwas darüber hinaus. Wie Jochen Schmidt sagte: Das Leben ist fragil, aber wohl behütet.

Harald Schroeter-Wittke: Gerade in diesem Jahr 2015, in dem der Friede in Europa wieder auf dem Spiel zu stehen scheint, hat diese Aussage ?Fürchtet Euch nicht“ wieder eine besondere Bedeutung bekommen. 365足彩投注_365体育投注@ passt auch zu einer anderen Botschaft, n?mlich ?Friede sei mit Dir!“.

Martin Leutzsch: Die Bibel hat eigentlich zwei Weihnachtsgeschichten: Lukas verknüpft die gro?e Politik mit einem unscheinbaren Ereignis: Irgendwo weit weg wird ein Retter geboren, und die, die am Rand stehen, bekommen es zuerst mit. Matth?us erz?hlt von Lebensgefahr und Blutb?dern: Jesus überlebt als Flüchtlingskind. Beide Weihnachtsbotschaften sind damit hochaktuell.

Das Gespr?ch führte Frauke D?ll, Stabsstelle Presse und Kommunikation

Fotos (Universit?t Paderborn, Nina Reckendorf): Im Gespr?ch über Weihnachten: die Theologen Martin Leutzsch (l.) und Jochen Schmidt…
…sowie Harald Schroeter-Wittke und Marion Keuchen.