Podiumsdiskussion lieferte Impulse für die Praxis und zum Nachdenken
Am 4. Mai haben sich Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis im Rahmen einer Podiumsdiskussion intensiv mit dem Thema ?Führung – zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ auseinandergesetzt. Moderiert wurde die Veranstaltung in der voll besetzten garage33 von Jürgen Wiebicke. Die Diskussion ist Bestandteil der ?50 Mosaike“, einer Veranstaltungsreihe im Jubil?umsjahr der Universit?t Paderborn.
Führungskr?fte in der Kluft von Autorit?t und Wissen
Dr. Martin Schneider, Professor für Personalwirtschaft an der Universit?t Paderborn, weist auf den Hintergrund neuer Formen von Führung: Eine Führungskraft besitzt h?ufig zwar die formale Autorit?t, nicht aber das notwendige Fachwissen. 365足彩投注_365体育投注@ sollte daher Entscheidungen nicht alleine treffen, sondern im Team als Gruppe von Expert*innen. Wichtig und schwierig sei es für Führungskr?fte, sich und der Gruppe das eigene Nichtwissen einzugestehen und entsprechend mehr Entscheidungen zu delegieren. Diese Vorgehensweise sei insbesondere für kleinere Unternehmen praktikabel, aber für Konzerne, Banken und ?hnliche Organisationen zurzeit eher noch mit Problemen verbunden.
Dr. Florian Turk, selber langj?hrig erfahrene Führungskraft, insbesondere in der Pharmaindustrie, Unternehmensgründer, aktuell Pr?sident der Novitalis AG sowie Honorarprofessor im Bereich Personalwirtschaft an der Universit?t Paderborn, best?tigte die zunehmende Entkopplung von Wissen und der Verantwortung zu führen als praktische Notwendigkeit. Insbesondere wenn es um wissensintensive Produkte und Dienstleistungen im Unternehmen geht, sei die zunehmende Menge an Wissen nicht mehr kognitiv beherrschbar. Der Führungskraft komme daher vermehrt die Aufgabe zu, Rahmenbedingungen für die Besch?ftigten zu schaffen, um ?richtige“ Entscheidungen zu erm?glichen, die ?richtigen“ Fragen zu stellen und dass alle ?richtig“ zusammenarbeiten.
Dr. Anke Bahl, Kulturanthropologin am Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), besch?ftigte sich in ihrer Forschung mit der Berufsausbildung in unterschiedlichen Branchen. In den Ausbildungsbetrieben des Handwerks ginge es z. B. um konkrete, sichtbare Prozesse, etwa in der Metzgerei, w?hrend Prozesse in der IT-Branche eher abstrakter seien. In ihren Forschungsarbeiten untersuchte Bahl die Austauschverh?ltnisse der beteiligten Individuen. Dabei stellte sich laut Bahl heraus, dass die ausbildenden Personen sich selbst oftmals sehr wenig reflektieren. Psychologisch g?be es eine gro?e Herausforderung für die Führung, Menschen zu motivieren, wenn keine Bereitschaft besteht, sich führen zu lassen. In der heutigen Start-up-Kultur k?nnte allerdings eher gefragt werden: Von wem habe ich was gelernt und warum?
Dr. Juliane Fuge, Veranstalterin und Wirtschaftsp?dagogin an der Universit?t Paderborn, betonte ebenfalls die Wichtigkeit der Beziehungsebene. Ungenügende Reflexion begünstige das Wiederholen von Verhaltensmustern, die bereits früh erworben worden sind. Bei den ausbildenden Personen sollte daher die berufsbezogene Selbstwahrnehmung und -reflexion gezielt gef?rdert werden. Dazu z?hle auch biografisches Wissen und Beziehungswissen. In der Ausbildung fehlt hierzu oft die unbedingt notwendige affektive und emotionale Lerndimension. In ihren Lehrveranstaltungen werden diese durch pers?nliche Erfahrungen, die beispielsweise aufgeschrieben werden, oder gestaltp?dagogische Elemente erlebbar gemacht. Es geht ihr darum, ein Bewusstsein für die eigene Rolle zu entwickeln, ohne sich dabei zu entfremden. Diese Art von Bildung braucht entwicklungsf?rderliche Beziehungen und unbedingt mehr Raum und Zeit in wirtschaftswissenschaftlichen Studieng?ngen.
Artur Nachtigal, Gründungsmitglied und Gesch?ftsführer der Cargoboard GmbH & Co. KG, berichtet von seinen ersten Erfahrungen als Führungskraft in einem jungen Start-up-Unternehmen in Paderborn. Das weitgehend interventionsfreie (?hands-off“) Führen komme nicht immer gut an bei seinen Mitarbeitenden, sodass es durchaus schwierig sein k?nne, als Führungskraft die richtige Balance zu finden zwischen Lenken und Laufenlassen. Es sei keine leichte Aufgabe, Mitarbeitenden zu vermitteln, wenn Dinge sich z. B. nicht in die richtige Richtung entwickeln. Daher sei es für ihn wichtig, sich um den Zusammenhalt zu kümmern und die Beziehungen pers?nlich zu pflegen. So w?re es eher m?glich, auch den pers?nlichen Einsatz der Teammitglieder wahrzunehmen und wertzusch?tzen.
Was spricht gegen einen Werkzeugkoffer?
Mit dieser Frage forderte Moderator Jürgen Wiebicke die Teilnehmenden aus Wissenschaft und Praxis heraus, zu den komplizierten Abh?ngigkeiten in Sachen Mitarbeiterführung den jeweiligen Standpunkt darzulegen.
Anke Bahl wies darauf hin, dass es sich bei der Berufsausbildung in der Regel um eine Eins-zu-eins-Beziehung handele. Hierbei sei es für eine qualitativ hochwertige Beziehung erforderlich, sich aufeinander einzulassen. Erst einmal koste das pers?nlich auch immer Kraft. Rein funktional orientierte Verhaltensanleitungen als ?Werkzeugkoffer“ für Führung oder Ausbildung seien allgemein zu kategorisierend und zu modellhaft und daher für den Dauergebrauch wenig effektiv.
Für Martin Schneider ist die Idee, dass die jeweilige Beziehung entscheidend ist, zu kurz gegriffen. Aus seiner Sicht geht es beim Thema Führung insbesondere um Gruppen und dann um Werte und Normen. Daher stellt sich für ihn die Frage: Wie werden Gruppen bewegt? Deshalb sollte seines Erachtens die Gruppe in den Blick genommen werden, bevor einzelne Beziehungen thematisiert werden.
Juliane Fuge hielt fest, dass es wichtig sei, zu verstehen, wie Beziehungsdynamiken und -gefüge in Organisationen funktionieren, die eigene Rolle und Position einzuordnen und das eigene Verhalten reflektieren zu k?nnen. Coaching und Mentoring k?nnten hierzu hilfreiche Reflexionsr?ume er?ffnen.
Laut Florian Turk würden auch Gruppen entsprechende Anleitungen ben?tigen. Die Anpassung an ein sehr striktes methodisches Arbeiten, wie es zum Beispiel in einer agilen Organisation praktiziert wird, k?nne zus?tzlichen Stress verursachen. Deshalb müsse gemeinsam definiert werden, was wie gemacht werden soll. Die Entscheidungskriterien müssen ebenfalls klar definiert und kommuniziert werden.
Führen ohne Hierarchie – geht das?
Florian Turk sieht Führen ohne Hierarchie als gr??ten Problemkomplex. Hierfür würde ein entsprechendes Repertoire an Schulungen ben?tigt. Voraussetzung sei, dass alle Gruppenmitglieder Verantwortung übernehmen, was h?ufig einen sehr langen Trainingsaufwand erfordere. Je weniger hierarchisch eine Organisation sei, umso gr??er müsse das Commitment im Sinne von Selbstverpflichtung der einzelnen Besch?ftigten und Führungskr?fte sein. Artur Nachtigal betont: ?Solange es Entscheider*innen gibt, wird es auch Hierarchien geben.“ Selbst sogenannte ?flache“ Hierarchien seien immer noch Hierarchien. Anke Bahl und Juliane Fuge sehen es problematisch, wenn Personen den Status als Führungskraft haben wollen, aber keine Verantwortung übernehmen k?nnen. Zu beobachten sei auch eine Angst vor diesem Statusverlust, gepaart mit Kompetenzdefiziten in Sachen Führung.
Moderator Jürgen Wiebicke bringt das Spannungsfeld von Führung abschlie?end auf den Punkt: ?Ownership – Macht – Verantwortung – Autorit?t: Am Ende hat einer den Hut auf!“
Weitere Informationen
Veranstaltungsreihe ?50 Mosaike“ UPB
Ringvorlesung ?Beziehungsr?ume in agilen Arbeitswelten gestalten“