Historikerin untersucht Entwicklung der Steuermoral
Auf viele Superreiche, Politiker*innen, Staats- und Regierungschef*innen werfen die sogenannten Pandora Papers ein zweifelhaftes Licht. 365足彩投注_365体育投注@ enthüllen fragwürdige Gesch?fte, intransparente Eigentumsverh?ltnisse und suspekte Finanzvorg?nge. Expert*innen sprechen von Geldw?sche und Steuerhinterziehung. Die Diskussion um Steuermoral nimmt – wieder einmal – an Fahrt auf. Bislang ist das tats?chliche Ausma? allerdings schwer zu ermitteln. ?Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts haben ?konom*innen Methoden entwickelt, um die H?he der Steuerhinterziehung zu erfassen. Wegen der hohen Dunkelziffer ist das aber schwierig. Das Bundesfinanzministerium sch?tzt die hinterzogene Summe in den Jahren 2003 bis 2012 auf 470 bis 790 Millionen Euro pro Jahr, der Bundesrechnungshof auf einen zweistelligen Milliardenbetrag“, sagt Prof. Dr. Korinna Sch?nh?rl von der Universit?t Paderborn. Die Wissenschaftlerin hat vor Kurzem eine Heisenberg-Professur auf dem Gebiet der Neueren und Neuesten Geschichte in Paderborn angetreten. Das Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) richtet sich an hoch qualifizierte Wissenschaftler*innen und geht nach Abschluss in eine regul?re Universit?tsprofessur über.
Warum sch?men sich Steuerhinterzieher*innen in einem Land mehr als in einem anderen?
In ihrem Projekt ?Internationale Kulturgeschichte der Steuermoral" untersucht Sch?nh?rl die historische Entwicklung der Normen und Werte des Steuerzahlens zwischen 1940 und 1980. Dabei nimmt sie drei Staaten in den Blick, die verschiedene Typen von Steuersystemen hinsichtlich Steuerstruktur, Steuerbelastung und Steuersystemeigenschaften repr?sentieren: die Bundesrepublik Deutschland, Spanien und die USA. Ziel ist eine vergleichende, transnationale Analyse des Ursprungs und des Wandels unterschiedlicher Moralsysteme. ?Wie kommt es, dass in Deutschland heute mehr Steuerzahlerinnen und -zahler der Meinung sind, dass Steuerhinterziehung nicht zu rechtfertigen ist, als in Spanien – obwohl das vor 20 Jahren noch umgekehrt war? Welche historischen Entwicklungen tragen zum Wandel der Normen des Steuerzahlens bei?“, fragt Sch?nh?rl.
Steuermoral als Ergebnis von Aushandlungsprozessen
Normen versteht sie als Ergebnisse von Aushandlungsprozessen in der Gesellschaft, in denen verschiedene Akteur*innen ihre Stimme erheben: Politiker*innen, Journalist*innen, aber auch Vertreter*innen der Kirchen und Wissenschaftler*innen. Sch?nh?rl geht deshalb den Fragen nach, wer sich in der Vergangenheit wie zum (ehrlichen) Steuerzahlen ge?u?ert hat, welche Interessen diese Personen verfolgt haben und welche Stimmen sich Geh?r verschaffen konnten. ?Wer die Versch?rfung von Gesetzen und Sanktionen oder das Stopfen von Steuerschlupfl?chern ablehnt, der fordert stattdessen oft eine Verbesserung der Kommunikation zwischen Fiskus und Steuerzahlerinnen bzw. -zahlern oder Straferlasse bei Selbstanzeigen – Ma?nahmen, die der eigenen Klientel oder W?hlerschaft nicht wehtun“, berichtet Sch?nh?rl aus ihren bisherigen Ergebnissen. W?hrend solche Muster in vielen L?ndern zu finden sind, gibt es in anderen Bereichen gro?e Unterschiede. Dazu Sch?nh?rl: ?Die Steuerbeh?rden in den USA erkl?ren seit den 1940ern, in Spanien seit den 1960er Jahren regelm??ig in der Presse, im Kino, im Internet und in den Schulen, warum Steuerzahlen wichtig und richtig ist und wofür Steuergelder ausgegeben werden – Ans?tze, die in Deutschland fast vollst?ndig fehlen.“ Laut der Wissenschaftlerin offenbaren sich unterschiedliche Vorstellungen von Bürgerrechten und -pflichten, wobei es spannend zu erforschen sei, was die L?nder dabei voneinander abgeguckt h?tten.
Die gro?en und die kleinen Fische
?In Skandalen wie dem um die Pandora Papers, die gro?e ?ffentliche Emp?rung aufwirbeln, verst?ndigen sich Gesellschaften über Normen und Werte des Steuerzahlens. Was ist verboten und was ist legal – und soll das auch so bleiben?“, sagt Sch?nh?rl. Gleichzeitig ginge es aber immer auch um die Frage, was legitim sei und was nicht: ?Wenn Gro?konzerne ihre riesigen Gewinne mithilfe von Briefkastenfirmen in Steueroasen (die es übrigens schon seit den 1930er Jahren gibt) verschieben, dann l?st dieses legale Verhalten gr??ere Emp?rung aus, als wenn der Imbissstand an der Ecke rechtswidrig keinen Kassenzettel ausstellt oder die Putzhilfe in der Nachbarschaft schwarz besch?ftigt wird. Im Rahmen gro?er und kleiner Steuerskandale diskutieren wir, für was man sich in unserer Gesellschaft sch?men soll. Dieser Verst?ndigungsprozess entwickelt oft überraschende Dynamiken. Unsere heutige Steuermoral ist also ein Ergebnis der Diskussionen ums ehrliche Steuerzahlen in der Vergangenheit. Viele M?chtige und Superreiche, so zeigt Pandora, fühlen sich an diese Normen jedoch nicht gebunden, und manchmal nicht einmal an die Buchstaben der Gesetze. Meine Forschung soll dazu beitragen, dass wir besser verstehen, warum wir bestimmte Praktiken des Steuerzahlens akzeptabel finden und andere nicht – und uns so darüber verst?ndigen k?nnen, wie wir die Aufgaben finanzieren wollen, die uns als Gesellschaft wichtig sind. Und auch, wie wir mit Steuersünder*innen umgehen wollen“, betont Sch?nh?rl.
Nina Reckendorf, Stabsstelle Presse, Kommunikation und Marketing