Fa­mi­li­en­?hn­li­che Be­treu­ung in Pfle­ge-WGs

Studie der Universit?t Paderborn: Das Konzept der Wohn-Pflege-Gemeinschaften als geschlechtergerechte Alternative jenseits von Heimunterbringung und Familienpflege

Angesichts des demografischen Wandels w?chst der Pflegebedarf in unserer Gesellschaft, gleichzeitig l?sen sich traditionelle Familienstrukturen auf und die M?glichkeiten für h?usliche Pflege nehmen ab. H?chste Zeit, politisch zu agieren und diese Versorgungslücke zu schlie?en, sagen die Soziologinnen Prof. Dr. Birgit Riegraf und Dr. Romy Reimer von der Universit?t Paderborn. In einer zweij?hrigen, qualitativ angelegten und vom Land NRW finanzierten Studie haben sie Wohn-Pflege-Gemeinschaften als alternative, geschlechtergerechte Betreuungsform untersucht – und sehen darin ein tragf?higes Zukunftsmodell.

Zwar werden immer noch 47 % der Pflegebedürftigen in Deutschland zuhause von ihren Angeh?rigen versorgt, dabei aber zunehmend Migrantinnen in h?ufig illegalen oder halblegalen Besch?ftigungsverh?ltnissen eingesetzt. ?Ohne diese 24-Stunden-Pflegekr?fte würde unser bisheriges Pflegesystem zusammenbrechen. Die Kleinfamilie mit Hausfrau gibt es so nicht mehr, beide Geschlechter sind immer h?ufiger voll erwerbst?tig. Angeh?rige geraten dadurch zunehmend unter eine enorme psychische und physische Belastung“, sagt Birgit Riegraf.

Betroffene geraten in einen Konflikt zwischen der Liebe und Fürsorge für ihre Angeh?rigen und den Anforderungen des (Berufs-)Lebens. Ein Heim kommt für viele Familien dabei nicht in Frage, weil dort die Bedingungen h?ufig sehr abschreckend sind. Birgit Riegraf und Romy Reimer sehen in den Wohn-Pflege-Gemeinschaften eine Betreuungsform, die pflegende Angeh?rige stark entlastet und gleichzeitig ihren emotionalen Bedürfnissen, sich weiterhin mit den Pflegebedürftigen auseinanderzusetzen, gerecht werden kann.

Seit den 1990er Jahren organisieren Angeh?rige dementer Menschen solche WGs: Dabei leben vier bis zw?lf Bewohner in einem familien?hnlichen Wohnumfeld zusammen und sollen so lange wie m?glich in ihrer Selbst?ndigkeit gef?rdert werden. Die Betreuung übernehmen professionelle Pflegekr?fte. Deren Zeit für individuelle Zuwendung ist deutlich h?her als in klassischen Pflegeheimen, ihre Arbeitsbedingungen sind wesentlich attraktiver. Das belegen die Studienergebnisse.

Die Paderborner Soziologinnen haben qualitative Interviews mit 24 Angeh?rigen und 19 Pflege- und Betreuungskr?ften in insgesamt elf Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen und Hamburg geführt. Auch für die Angeh?rigen ist das Konzept demnach eine gro?e Entlastung, obwohl Organisation und Verwaltung mit einigem Aufwand verbunden sind. ?Wir haben festgestellt, dass in diesen Arrangements viele Formen bürgerschaftlichen Engagements zu finden sind, die sich in der Gemeinschaft von Angeh?rigen gegenseitig verst?rken.“

Viele der Wohn-Pflege-Gemeinschaften werden von Angeh?rigen selbst verwaltet, eine zunehmende Zahl von karitativen Tr?gern, nur wenige von Kommunen. Je nach Landespolitik ist ihre Verbreitung in den Bundesl?ndern sehr unterschiedlich. Die Forderung der Soziologinnen lautet, diese Pflegeform genauso finanziell zu f?rdern, wie es bislang im station?ren Bereich der Fall ist – und auch die entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen.

Insgesamt müsse der Pflegekrise durch ein regional abgestimmtes Pflegeangebot begegnet werden: ein Angebotsmix für unterschiedliche Bedürfnisse mit den Wohn-Pflege-Gemeinschaften als einem Baustein. ?Die Politik hat zu lange vers?umt, das Thema anzugehen, obwohl die Entwicklungen lange absehbar waren und wir letztlich alle davon betroffen sind.“ Es gelte, die Pflegearbeit zu vergesellschaften, also sie von der Verantwortung der einzelnen Familien weg ?nach drau?en“ zu verlagern und zu professionalisieren, Arbeitsbedingungen und Bezahlung der enorm anstrengenden Pflegearbeit zu verbessern. Nur so k?nne die traditionelle Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern aufgebrochen werden und diese Arbeit mittelfristig eine andere gesellschaftliche Wertsch?tzung bekommen.

Foto (Universit?t Paderborn, Frauke D?ll): Die Soziologinnen Dr. Romy Reimer und Prof. Dr. Birgit Riegraf (v. l.) haben die Ergebnisse einer Studie zur Pflegesituation in Deutschland und zum Konzept der Wohn-Pflege-Gemeinschaften vorgelegt.
Foto (Universit?t Paderborn, Frauke D?ll): Die Soziologinnen Dr. Romy Reimer und Prof. Dr. Birgit Riegraf (v. l.) haben die Ergebnisse einer Studie zur Pflegesituation in Deutschland und zum Konzept der Wohn-Pflege-Gemeinschaften vorgelegt.
Abbildung: Pflegestatistik
Abbildung: Pflegestatistik