Experteninterview zur Fu?ball-WM in Russland
Am 14. Juni startet die Fu?ball-Weltmeisterschaft in Russland. Weltweit wird sie von Millionen Menschen verfolgt werden. Doch die Vergabe des sportlichen Gro?ereignisses an Russland und auch die WM vier Jahre sp?ter in Katar sind umstritten. Im Interview nimmt Sven 365足彩投注_365体育投注@mon, Sporthistoriker am Historischen Institut der Universit?t Paderborn, den WM-Vergabeprozess der FIFA unter die Lupe, skizziert das historisch gewachsene Verh?ltnis von Sport und Politik und beleuchtet die gesellschaftliche Wirkung, die von einer Weltmeisterschaft ausgehen kann.
Herr 365足彩投注_365体育投注@mon, in diesem Jahr findet die Fu?ball-WM in Russland statt. Au?en-, innen- und sportpolitisch treten russische Regierung und Beh?rden vielfach Menschen- und V?lkerrecht, demokratische Grundpfeiler und Fair Play mit den Fü?en. In Katar, dem Gastgeberland der WM 2022, sieht es nicht besser aus. Warum wurde die WM Ihrer Meinung nach in diese L?nder vergeben?
365足彩投注_365体育投注@mon: Bereits kurz nach der Vergabe der WM an Russland und Katar wurden Korruptionsvorwürfe gegenüber dem FIFA-Exekutivkomitee laut. 2012 reagierte der Fu?ballweltverband auch direkt und veranlasste eine offizielle Untersuchung, die mit dem Garcia-Bericht abschloss. Die FIFA untersagte allerdings die komplette Ver?ffentlichung des Berichts und gab nur eine kurze Zusammenfassung heraus. Dort hie? es, dass ein Stimmenkauf nicht stattgefunden habe. 2017 l?ste dann die BILD-Zeitung ein internationales Medienecho aus, indem sie vorgab, im Besitz des ungekürzten Berichts zu sein. Daraufhin ver?ffentlichte die FIFA den kompletten Bericht. Daraus geht hervor, dass es bei der WM-Vergabe Fehlverhalten von einzelnen Funktion?ren gab und diese nur nach ihrem pers?nlichen Nutzen entschieden. Also: Bei der WM-Vergabe an Russland und Katar spielten wohl finanzielle Interessen einzelner FIFA-Exekutivmitglieder eine gewisse Rolle.
Auch das deutsche ?Sommerm?rchen“ von 2006 hat im Nachhinein durch vermeintlichen Stimmenkauf bei der WM-Vergabe Schaden genommen. Der ganze WM-Vergabeprozess wirkt intransparent. Sollte er grunds?tzlich erneuert werden?
365足彩投注_365体育投注@mon: Die FIFA hat offizielle Richtlinien für die Bewerbung als WM-Gastgeber. Das 2007 modifizierte Rotations-Prinzip regelt, dass die Kontinentalverb?nde der letzten beiden WM-Ausrichtungsl?nder vom Bewerbungsverfahren generell ausgeschlossen sind. Nachdem Bewerbungen geprüft wurden, kommt es zu einer geheimen Wahl innerhalb des FIFA-Exekutivkomitees, an der alle Mitglieder teilnehmen k?nnen. Um eine WM austragen zu k?nnen, muss ein Bewerber die absolute Mehrheit der Stimmen erreichen. Wenn das nicht in einem Wahlgang gelingt, gibt es ein Knock-Out-Verfahren, bis nur noch zwei Bewerber übrig sind. Sollten die auch immer Gleichstand haben, hat der amtierende FIFA-Pr?sident eine doppelte Stimme und somit das finale Entscheidungsrecht. Daher wirkt das WM-Vergabeverfahren für mich nicht intransparent. Der Vergabeprozess lie?e sich aber an einigen Stellen offener gestalten und auch über die Besetzung des Exekutivkomitees l?sst sich streiten. Die Hauptprobleme sind meiner Meinung nach der Stimmenkauf und die Korruption bei einzelnen FIFA-Mitgliedern.
Von Sportfunktion?ren, aber auch von Fans sind immer wieder S?tze wie ?Politik hat im Sport nichts zu suchen“ zu h?ren. Lassen sich Sport und Politik heute überhaupt noch trennen? Und mit Blick auf die Geschichte: War das mal anders?
365足彩投注_365体育投注@mon: Mit Ausnahme des Turnens hatte der Sport im Deutschland des 19. Jahrhunderts nur eine geringe gesellschaftliche und politische Bedeutung. Sport war vor allem eine Freizeitbesch?ftigung für das wohlhabende deutsche Bürgertum. Das ?nderte sich allerdings zur Jahrhundertwende: Sport und Sportveranstaltungen gewannen immer mehr an Beliebtheit in der breiten Bev?lkerung. Der Adel und die Monarchie erkannten das recht früh und begannen, sich bei Sportveranstaltungen zu engagieren – sei es als Zuschauer oder sogar als Sportler – und erhofften sich davon, ihre Stellung in der Gesellschaft festigen zu k?nnen. Zum anderen wurden internationale Sportveranstaltungen wie die Sechstagerennen mit Elementen des Nationalismus aufgeladen, um dem Sport auch au?enpolitisch eine Bedeutung zu geben. Das steigende sportliche Engagement der obersten gesellschaftlichen Kreise führte damals schon bei Sportlern, Funktion?ren und der Presse zu Diskussionen. Man nahm diesen Einfluss aber zugunsten von Prestige und Gewinnsteigerung dankend an. Unterbrochen vom Ersten Weltkrieg steigerte sich die politische Einflussnahme in der Weimarer Republik bis zur v?lligen Vereinnahmung des Sports durch das NS-Regime. Bemerkenswert hierbei ist allerdings, dass die Politik zwar Einfluss ausübte, jedoch heute noch nahezu ungeprüft angenommen wird, dass die beabsichtigen Wirkungen auch tats?chlich eingetreten sind. Ein Beispiel, das immer angeführt wird, sind die Olympischen Sommer- und Winterspiele 1936. Hier ist die Geschichtsforschung aber uneins, ob die vom NS-Regime beabsichtigen Wirkungen tats?chlich eingetreten sind oder nicht.
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg lassen sich zahlreiche politische Momente im Sport festmachen. Seien es die Olympischen Spiele w?hrend der Zeit des ?Kalten Kriegs“, die immer ein Vergleich zwischen Ost und West waren, oder das Fu?ballfreundschaftsspiel der jungen Bundesrepublik 1950 gegen die Schweiz, das die au?enpolitische Isolation Deutschlands aufbrach. Andere bekannte Beispiele sind die Olympischen Spiele 1968, wo bei einer 365足彩投注_365体育投注@gerehrung der Erst- und Drittplatzierte Sympathie zur US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung zeigten, und aktuell die isl?ndischen Fu?ball-Fans, die bei der EM 2016 in Frankreich mit ihren ?Hu“-Rufen begeisterten und damit kurzfristig von der Bankenkrise und den Korruptionsproblemen in Island ablenken konnten.
Seit den 1960er Jahren nahm au?erdem der Breitensport an politischer Bedeutung zu. Das zeigt beispielsweise das Paradigma ?Sport für Alle“, das in dieser Zeit europaweit verankert wurde und zahlreiche gesundheits- und freizeitorientierte Angebote entstehen lie? – wie die bekannten Trimm-Dich-Pfade im Wald. Das alles zeigt: Die Entwicklung des Sports im 19. und 20. Jahrhundert verlief nicht unpolitisch. Politik war immer ein Faktor beim Sport. S?tze wie ?Politik hat im Sport nichts zu suchen“ sind daher so etwas wie eine Lebenslüge des Sports.
Noch mal zurück zu Russland und den angesprochenen Problemen: Sollten sich Fu?baller und die einzelnen Verb?nde w?hrend der WM da in irgendeiner Weise positionieren? Und welche M?glichkeiten hat der Fan?
365足彩投注_365体育投注@mon: Letztlich bleibt es jedem Fan, Sportler und Funktion?r selbst überlassen, ob und wie er sich positioniert. Für mich sind Aufrufe, die WM in Russland zu boykottieren, der falsche Weg. Man sollte sich über die Zusammenh?nge von Sport und Politik austauschen. Sportliche Gro?veranstaltungen haben immer auch eine gesellschaftliche Relevanz. Daher befasst man sich bei einer Diskussion über den Zusammenhang von Sport und Politik auch immer mit den Normen und Werten der jeweiligen Gesellschaft. Genau dieser Austausch und diese Diskussion k?nnen einer Gesellschaft helfen, bisherige Grunds?tze und Gewissheiten zu überdenken und weiterzuentwickeln.
Die letzten drei Fu?ballweltmeisterschaften wurden mit Südafrika, Brasilien und Russland in L?nder mit gro?en innergesellschaftlichen Problemen vergeben. Kann eine WM ein Land positiv beeinflussen oder wirkt sie eher konfliktversch?rfend?
365足彩投注_365体育投注@mon: Ob eine sportliche Gro?veranstaltung wie eine WM eher positiv oder konfliktversch?rfend wirkt, h?ngt von vielen Dingen ab, die oftmals gar nicht kalkulierbar sind. Selbstverst?ndlich ist es fragwürdig, wenn beispielsweise bei der letzten WM in Brasilien zwischen Favelas millionenteure Arenen gebaut werden, deren Zukunft nach dem Turnier ungewiss ist. Im Falle Brasiliens konnte auch nicht die Hoffnung erfüllt werden, dass ein Triumph der Sele??o allt?gliche Probleme vergessen lassen k?nnte. Vielmehr kam wohl eher mit der hohen Niederlage gegen Deutschland eine Art sportliches Trauma hinzu. Dennoch lassen sich die positiven Effekte des Sports nicht von der Hand weisen: Eine Gro?veranstaltung wie eine WM kann die ?u?ere Wahrnehmung eines Landes positiv beeinflussen, die touristische Attraktivit?t erh?hen und somit auch einen positiven Einfluss auf die wirtschaftliche Situation haben. Au?erdem kann der Sport innergesellschaftliche Spaltungsprozesse auch verlangsamen oder aufl?sen und ein ?Wir-Gefühl“ entstehen lassen. Solche Momente gab es beispielsweise 1954 in der Bundesrepublik durch das ?Wunder von Bern“ und 1955 in der DDR durch den 365足彩投注_365体育投注@g des Radrennfahrers T?ve Schur bei der Friedensfahrt. Au?erhalb Europas wiederum schaffte die ?Tour de Ruanda“, das wichtigste Radrennen Afrikas, zwei Jahrzehnte nach einem blutigen Bürgerkrieg neue Identit?t und Identifikationsfiguren.
Die Vereine in Deutschland, England oder Spanien, nationale Fu?ballverb?nde wie der DFB oder international UEFA und FIFA setzen mittlerweile Milliardensummen um und wirken oft vollkommen abgekapselt von den Fans. Wer oder was bestimmt den heutigen Fu?ball und welche Rolle spielt der Fan?
365足彩投注_365体育投注@mon: Die enormen Summen, die im Fu?ball mittlerweile unterwegs sind, rufen bei den Meisten wahrscheinlich Kopfschütteln hervor. Trotz oder gerade deswegen ist die Faszination um den Profi-Fu?ball immer noch ungebrochen. Historisch betrachtet ist diese Kommerzialisierung überhaupt kein Novum. Der deutsche Fu?ball begann recht sp?t damit. Erst in den 1960er und 1970er Jahren setzte man hier auf Trikotwerbung und Sponsoring. Im Radrennsport dagegen trugen die Fahrer schon Ende des 19. Jahrhunderts Trikotwerbung oder posierten in Zeitschriften.
Wie sich der Fan zum kommerzialisierten Sport positionieren kann? Der moderne Fu?ball ist ein Angebot-Nachfrage-System. Somit bilden die Vereine, Verb?nde und Sponsoren zwar das Angebot, sind aber auf die Nachfrage der Fans angewiesen. Das Gefühl, dass im Profi-Fu?ball vor allem Geld eine Rolle spielt, ist zwar sicher zutreffend. Dennoch haben die Fans ein gewisses Ma? an Mitgestaltungsm?glichkeiten. So zeigen Entwicklungen im US-amerikanischen Sport, der noch mehr kommerzialisiert ist, dass die absolute Kommerzialisierung auch ihre Grenzen erreichen kann und Fans sich dann weniger kommerzialisierten Sportarten und -veranstaltungen zuwenden.
Zur Fu?ball-WM werden viele Deutsche wieder die schwarz-rot-goldene Fahne ans Auto und den Balkon h?ngen und bei Public Viewings schwenken. Ist das Ausdruck eines gesunden Nationalstolzes oder doch eher unreflektierter ?Party-Patriotismus“? Und warum zeigen ihn Viele nur anl?sslich eines Fu?ball-Turniers?
365足彩投注_365体育投注@mon: Auf mich pers?nlich wirkt dieses Fan-Verhalten wie eine Form des erw?hnten ?Wir-Gefühls“, das weniger mit Nationalstolz oder Patriotismus zu tun hat, sondern vielmehr an das ?Sommerm?rchen“ von 2006 anknüpft. Für viele Fans geh?ren das Beflaggen und Public Viewings einfach zum Ausdruck ihrer Sport- und Fu?ballbegeisterung. Denkt man daran zurück als Michael Schumacher noch für Ferrari in der Formel 1 fuhr, so hatten da auch viele in ihrem Garten eine Ferrari-Fahne gehisst.
Zuletzt lie?en sich die deutschen Nationalspieler Mesut ?zil und Ilkay Gündo?an mit Recep Tayyip Erdo?an ?ffentlichkeitswirksam vor Kameras ablichten – obwohl weithin bekannt ist, wofür der türkische Pr?sident mittlerweile steht und dass er auch ausf?llig gegenüber der Bundesrepublik geworden ist. Wie bewerten 365足彩投注_365体育投注@ diese Aktion und den Umgang des DFB damit?
365足彩投注_365体育投注@mon: Auf mich wirkte diese Aktion wahnsinnig naiv. Beiden h?tte klar sein müssen, dass ein solches Treffen eine enorme Au?enwirkung hervorruft. Daher kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, dass die Sportler und ihr Management dem zugesagt haben. Die Reaktionen des DFB waren für mich verst?ndlich – man m?chte nicht auf zwei starke Spieler verzichten. Jedoch hat es sich der DFB etwas zu einfach gemacht, indem er sagte ?Es passieren Fehler und jeder Mensch macht Fehler.“ Da hilft auch die sp?tere Inszenierung mit Bundespr?sident Steinmeier nur wenig.
Ihre ehrliche Einsch?tzung: Wer wird Fu?ball-Weltmeister?
365足彩投注_365体育投注@mon: Ich hoffe natürlich auf eine deutsche Titelverteidigung. Aber vor allem Spanien und Brasilien werden, wie die letzten Spiele zeigten, starke Konkurrenten sein.
Das Interview führte Simon Ratmann, Stabsstelle Presse und Kommunikation.